- Einzug der Russen
Am 23. August 1944 schlug Rumänien über Nacht um und trat an der Seite der Sowjetunion gegen Deutschland in den Krieg. Den Russen stand nun bei ihrem Vormarsch nichts mehr im Wege. Alle deutschen Soldaten, die noch in Rumänien waren, wurden gefangen genommen. Der Einzug der Russen in Bruckenau am 18. September 1944 verbreitete Angst und Schrecken unter der Bevölkerung. Nicht zu Unrecht, wie sich bald herausstellen sollte. Willkürlich töteten sie Schweine, Kühe, beschlagnahmten Pferde, suchten nach Wein, den es ja reichlich gab. Auch die Frauen waren nicht sicher vor ihnen. Gleich in den ersten Tagen erschossen sie auch zwei Personen, Mathias Metz, 68 Jahre alt, und dessen Tochter Anna Koppel, 44 Jahre alt. Am Abend des 20 September 1944 erschienen ein russischer Soldat bei besagter Familie und gab an deutsche Soldaten zu suchen. Alle Bewohner des Hauses mussten sich in einen Raum begeben und vor den entsetzten Augen der restlichen Familie erschoss der Russe Vater und Tochter. Auch schon vorher, aber besonders nach diesem Vorfall war alles Leben im Dorf wie erstarrt, kaum jemand auf der Straße zu sehen. Die Herbsternte blieb größtenteils draußen auf dem Felde. Alle Schulen blieben geschlossen. Und dann kam der verhängnisvolle 14. Januar 1945.
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- Verschleppung nach Russland
Das neue Jahr hatte kaum begonnen als man hörte, daß mit den Deutschen aus Rumänien etwas geschehen soll. Sonntag, den 14.01.1945, in aller Früh wurden die ersten Männer von den Gendarmen festgenommen und zur Sammelstelle gebracht. Um 7 Uhr ging dann der Trommelmann durch den Ort und verkündete, dass alle deutschen Männer, die zwischen 1900 und 1927 geboren wurden, und alle deutschen Frauen der Geburtsjahrgänge zwischen 1915 und 1927, sich bis Mittag im Wirtshaus zu melden haben. Die sollten sich warm anziehen und für 14 Tage Verpflegung mitbringen. Verzweiflung und Unsicherheit zeigte sich bei der Vermutung der Rußlandverschleppung. Was war zu tun? Sollte man zusammen bleiben, oder wäre es besser, sich zu verstecken? Die Mehrheit folgte der Aufforderung, meldete sich bei der Sammelstelle, blieb hier fest gefangen und konnte nicht wieder heraus. Viele Frauen, die kleine Kinder hatten und deren Männer noch an der Front standen, waren auch dabei. Was sollte mit den Kindern geschehen? Die Behörde und die bewaffneten Soldaten nahmen keine Rücksicht auf Kinder, Alte und Kranke. Nur sichtbar Schwangere und Frauen mit Kleinkindern unter einem Jahr blieben verschont. Wenn Großeltern und Verwandte da waren, nahmen sie sich der elternlos gewordenen Kinder an. Am nächsten Tag, es war ein frostiger, verschneiter Januarmontag, trieb man die Bruckenauer Mädchen, Buben, Frauen und Männer unter Militärbewachung durch die Roßmüllergasse zum Dorf hinaus. Es ging den weiten Weg zu Fuß nach Vinga. Das war wohl der schrecklichste Tag in der Geschichte Bruckenaus. Soviel Wehklagen kann man kaum in Worte fassen. Ich fuhr einen der drei Pferdewagen mit dem Gepäck. In Vinga verbrachten wir einige Tage in einem großen Saal. Die beiden anderen Wagen waren bereits nach Hause gefahren. Ich musste bleiben und wurde wie alle andern zum Bahnhof gebracht. Nachträglich waren auch die Jungen des Jahrgangs 1928 gekommen. Schließlich wurden wir in Viehwaggons, je 30 Personen verfrachtet und bereits unter russischer Bewachung von außen verriegelt. Der Zug fuhr also Richtung Osten. In einigen größeren Stationen musste er anhalten. Es wurde bestimmt, wer Wasser holen durfte. Waghalsigen gelang es unter höchster Gefahr zu türmen. In den Waggons war es kalt. Die Menschen lagen dicht beisammen, um nicht zu frieren. Ein Loch im Bretterboden, vor das man eine Decke gehängt hatte, diente als Toilette Gegessen wurde, was noch im Gepäck war, doch das Wasser von verschiedenen Bahnhöfen sorgte für Magenverstimmungen. Nahe der russischen Grenze, in Adjud mussten alle umsteigen. Die Leute aus unserem Waggon wurden in einem Militärlager zurückgehalten, um bei der Grenzwechselversorgung zu helfen. Von hier gelangten zwei kranke Landsleute ins Spital und nach Hause. Nach 8 Tagen schlossen wir uns einem der Transportzüge an. Wir fuhren ins Donezbecken nach Jenakijevo (30 Kilometer von Stalino), wo die meisten Bruckenauer bereits angekommen waren. Schließlich musste jeder sein Gepäck nehmen, sich der Kolonne anschließen und „links, rechts“ bis ins Entlausungsbad marschieren. Kahl geschoren sahen wir Männer wie richtige Verbrecher aus. Das Lager, ein zweigeschössiges Gebäude, stand neben dem Werkstor. Es fasste 1.500 Menschen, darunter auch viele Siebenbürger Sachsen. Im unteren Geschoß waren die Männer und oben die Frauen untergebracht. In den übereinandergestellten Betten schlief man schlecht, obwohl man so unsagbar müde war. Überall standen Posten. Russische Offiziere, begleitet von einem Dolmetscher, übernahmen die Verwaltung. Je nach Beruf und Bedarf wurden wir am nächsten Morgen zur Arbeit eingeteilt. Die Bruckenauer kamen fast alle zu den Eisenschmelzöfen in der „Aglo-Fabrik“. Von morgens bis abends zu arbeiten, brauchte man auch Atempausen. Doch da hieß es gleich: „Dawai, dawai, rabotai!“ (Los, los, arbeiten!) Das Essen war sehr arm. Kraut- oder Gurkensuppe mit einem Löffel Brei gab es in der Früh und am Abend. Morgens wurde die Ration Brot ausgegeben. Viele aßen es gleich und mussten tagsüber hungern. Wir waren unterernährt und hatten nur noch Haut und Knochen. Das führte oft zum Tod. Als dann am 9. Mai der Krieg beendet war, hieß es „skoro damoi“ (bald nach Hause). Aus dem „bald“ wurden 5 lange, schwere Jahre. Allmählich sind viele arbeitsunfähig geworden. Die Lagerleitung nahm eine Einteilung vor. Sie ließ die Leute nackt vorbeigehen und musterte sie aus. So kam ein Sammeltransport mit Kranken aus mehreren Lagern zustande, der zunächst in die DDR führte. Spätere Krankentransporte fuhren nach Rumänien, also nach Hause. Die Arbeit ging bei den Hochöfen und in den Stahlwerken weiter. In anderen Lagern zwang man Männer und Frauen in den schlechtgesicherten Kohlengruben zu schaffen. Ich erinnere mich an eine Nacht, von der ich noch kurz erzählen will: Bei großem Schneetreiben und grimmiger Kälte wurden wir aus dem Schlaf gerissen, zur Bahnlinie getrieben um diese immer wieder freizuschaufeln, damit der Verkehr nicht zusammenbrach. Im Sommer, wenn die Felder bestellt werden mussten, durften die Frauen auf das Land hinaus. Es dauerte Jahre bis sich die Lage lockerte. Junge Leute unterhielten sich, schlossen neue Bekanntschaften, die manchmal in Partnerschaften fürs Leben endeten. Im Oktober 1949 ging letztlich unser Transport nach Hause. Fünf Jahre meiner Jugend, verwahrlost, ausgehungert und verlaust in russischen Lagern verbracht, gingen somit ihrem Ende zu. Viele haben diese Zeit jedoch mit dem Leben bezahlt.
Mathias Remmel
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- Lager 1004
Die Bruckenauer aus dem Lager 1004 Jenakijevo
Mitte Februar 1945 kam der Transport mit Banater Schwaben aus Billed, Bogarosch, Triebswetter, Marienfeld, Wariasch und auch 34 Bruckenauer und 5 Muranier, die in einem Waggon waren, in Jenakijevo an. Vom Bahnhof bis in das Lager musste jeder sein Gepäck selber tragen. Im Lager angekommen, konnten wir feststellen, dass hier schon ein Transport Siebenbürger Sachsen aus Hermannstadt und Umgebung, zwei Wochen vor uns eingetroffen war, und diese Menschen sahen schon ausgehungert aus. Das Lager diente vor dem Krieg als Bad und Garderobe für die Arbeiter des Stahlwerkes und war aus bester Bausubstanz. Das Erdgeschoss bestand aus fünf großen Räumlichkeiten, von welchen drei als Schlafraum für Männer, eine für Küche und eine als Speiseraum dienten. Im Obergeschoß waren auch fünf Räume, welche als Schlafräume für Frauen benutzt wurden. In einem Raum waren bis zu 200 Personen untergebracht. Der größte Teil der Bruckenauer Männer und Jungen wurden der Aglomerat-Fabrik zugeteilt, einige zum Hochofen und Bahn-Depot. Die Frauen und Mädchen mussten bei der „Pere-stroika“ (Aufbau, Bahnlinie) arbeiten. In Jenakijevo sind zwei Bruckenauer gestorben und beerdigt: Tittchen Mathias ist im April/Mai an der Ruhr und Brunner Franz im August 1945 an Lungenentzündung gestorben. Im Oktober 1945 ist im Lager Typhus ausgebrochen. Gott sei Dank, war von den Bruckenauern nur Hehn Elis (geb. Schwarz) erkrankt. Krank geschrieben wurde nur, wer Fieber hatte. Durch die schlechte, unzureichende Ernährung und schwere Arbeit wurde der eine und andere arbeitsunfähig. So ging Ende November 1945 der erste Transport mit Arbeitsunfähigen und Kranken nach Hause. Mit dabei waren folgende Bruckenauer: Hehn Elisabeth (Schwarz), Notar Krutsch Adam, Ritter Johann, Roth Mathias (Hanni Matz), Roth Mathias sen., Scherer Franz und Scherer Elisabeth. Dieser Transport ging nach Rumänien, und im Durchgangslager in Focsani ist Ritter Johann gestorben. Der zweite Transport 1946 ging in die DDR. Dabei waren: Lippert Christian sen. und Breitenbach Johann, welcher in der DDR gestorben ist. Der dritte Transport im Frühjahr 1947 ging auch in die DDR. Es waren dabei: Bognar Anna geb. Maurer, Feith Johann, Lippert Peter, Maurer Franz, Mitsch Eva, Pinkert Elisabeth geb. Lippert, Schwarz Josef und Stefan Anna geb. Schwarz. Feith Johann und Schwarz Josef sind in der DDR gestorben. Im Juni 1948 ging der vierte Transport nach Rumänien: Loch Mathias sen., Loch Mathias jun., Remmel Mathias sen., Noheimer Mathias sen., Wittecsek Johann und Breininger Elisabeth geb. Wittecsek, welche auch noch an Typhus erkrankt war. Im Herbst 1949, als die Rückführung der Deportierten beschlossene Sache war, waren beim Transport am 16. Oktober: Ehrenreich Josef, Lippert Christian, Gross Elisabeth geb. Lippert, Remmel Mathias jun., Remmel Anna und Noheimer Mathias jun. Und die letzten am 9. November 1949 waren noch Loch Anna geb. Drescher, Roth Mathias jun. und Scherer Johann. Damit war ein trauriges Ereignis, die Deportation und Zwangsarbeit der Bruckenauer aus dem Lager 1004 Jenakijevo abgeschlossen, eine Zeit, die die Betroffenen nie vergessen werden.
Mathias Roth
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- Erinnerungen
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Fünf entsetzliche Hungerjahre, das war unser Teil der „Wiedergutmachung“ zu Deutschlands Kriegsschuld, den man uns Banater Schwaben, sowie allen Deutschen aus Rumänien aufbürdete und dabei so viele ihre Heimat nicht wiedersahen. Hans Bohn schreibt in seinem Buch „Zur Acker der Zeit“ einen treffenden Satz: „der Tod hatte damals einen verruchten Namen, er hieß Schacht Nr.1 Smoleanka“. Und in diesem Lager war der Großteil der aus Bruckenau Verschleppten interniert. Darunter auch mein Vater, mein Bruder und ich. Schon als man uns in Adjud in die russischen Waggons umgeladen hatte, lernten wir die Läuse kennen. Vorläufig aßen wir uns noch satt, ein jeder hatte ja von zu Hause Essen dabei. Nach zwei Wochen Fahrt in den versperrten Viehwaggons kamen wir in Stalino (heute Donez) an. Das Lager 1021 sollte nun jahrelang unsere Bleibe werden und für viele von uns die ewige Heimat.
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Nach zwei Wochen Quarantäne teilte man uns zur Arbeit ein. Der Großteil kam in die Kohlengrube, Schacht 13, so auch mein Bruder. Der Schacht 14-15 in den ich mit mehreren Frauen zur Arbeit eingeteilt wurde, war erst im Aufbau. Es gab noch keinen Lift, wir mussten je drei oder vier in einen großen Eisenbottich einsteigen um runterzufahren. Aus den Wänden prasselte dabei das Wasser auf uns nieder. Um einen Gang zu bauen, wurde ständig gesprengt und wir Frauen mussten die Steine in diese Bottiche schaufeln, die dann hochgefahren und ausgeleert wurden. Als hier der Kohlebetrieb anging, teilte man uns auch in den 13er Schacht ein. Zur Arbeit und zurück durften wir nur in Kolonnen, von einem Posten begleitet, gehen. Anders war es nicht erlaubt sich vom Lager zu entfernen. Wir arbeiteten in drei Schichten, auch an Sonn- und Feiertagen, da der Schachtbetrieb nicht stillstand. Abwechselnd gab es einen freien Tag in der Woche, aber an dem mussten wir im Lager arbeiten. Sobald die Eßvorräte von zu Hause aufgebraucht waren und man auf das Essen in der Kantine angewiesen war, fing das Hungern an. Leere Kraut- oder saure Paradeisbrühe (Tomatensuppe), zu Mittag ein Löffel Graupen oder Hirse mit einem winzigen Stückchen Konserve oder Fisch. Die Schachtarbeiter bekamen 1,200 kg Brot am Tag, das hielt uns am Leben. Obzwar es klebrig und sauer war, brauchte man schon eine große Willenskraft, um noch ein Stückchen übrig zu lassen und nicht alles auf einmal zu verschlingen. Die nicht unter Tag, aber nicht weniger schwer arbeiteten, bekamen 700 g. oder gar nur 500 g. Brot. Neben dem Hunger plagten uns auch die Läuse und Wanzen, sogar Ratten gab es eine Zeitlang. Am 9. Mai 1945, als der Krieg zu Ende war, schöpften wir Hoffnung auf baldige Heimkehr. Zumal die Russen uns immer mit „skoro domoi“ (bald geht’s nach Hause) trösteten und das 5 lange Jahre hindurch. Von unseren Kleidern verkauften wir durch russische Mittelsmänner, was wir entbehren konnten, um noch etwas zum Essen zu erstehen. Die Russen selbst waren nach den langen Kriegsjahren auch sehr arm. Schon nach wenigen Monaten gab es die ersten Toten und das waren meistens Männer. Mit vielen ging es auch moralisch rapide bergab. Ausgemergelt, ungewaschen, so sah man sie mit einer Konservendose nach ein paar Kartoffelschalen suchend oder die wenigen Reste auf den Esstischen sammelnd, wie Fischköpfe und ähnliches. Der Hunger tut weh. Wenn wir der Ablöseschicht begegneten, so war unsere erste Frage, was es zu essen gibt, ob vielleicht ein Stückchen Kartoffel in der Suppe war. Zum Glück für meinen Vater und mehrere Bruckenauer ging der erste Krankentransport im Herbst 1945 nach Hause, wo sie mehr tot als lebendig ankamen. Im November ’45 brach die Typhusepidemie aus. Ohne jedwelche Medikamente musste man mit der Krankheit fertig werden oder sterben. Auch ich erkrankte daran. Mein 20ter Geburtstag bleibt mir in Erinnerung, da wurde ich kahlgeschoren. Als ich von der Isolierstation ins Lager kam, waren sämtliche Sachen der Lagerinsassen im Hof aufgestapelt, nur die leeren Pritschen standen in den Räumen und auf diesen musste man auch so schlafen. Es war Schnee und sehr kalt, wahrscheinlich sollten die Läuse erfrieren. Auch durch wiederholtes Dämpfen gelang es erst nach drei Jahren, uns zu entlausen. Mit der Zeit wurde man abgestumpft, teilnahmslos, auch in Anbetracht der vielen Toten. Ich wusste nicht, dass man auch im Gehen und Stehen schlafen kann, aber es ist so. Auf unserem Arbeitsplatz, in der „Lava“, konnten wir nur kniend schaufeln, weil es zu niedrig war. Andere hatten es noch schlimmer, die mussten liegend arbeiten. Oft floss das Wasser unter uns hindurch, die Hosen waren Nass und im Winter steif gefroren bis wir ins Lager kamen. Unfälle gab es immer wieder im Schacht, wie durch Steinschläge, von den Loren zerquetscht u.a. Von unseren Frauen wurden zwei, eine aus Orzydorf und eine aus Knees, von den Russen aus dem Lift gedrängt. Sie fielen in den Aufzugschacht. Kein Stückchen blieb von ihnen übrig. Im Steinbruch, in dem auch viele Frauen Schwerstarbeit leisten mussten, bei wenig Brot, gab es mehrere Unfälle. Bei einem kamen mehrere Frauen um, davon auch Mitsch Eva aus Bruckenau. In den ersten Jahren versuchten mehrere von den Jungen durchzugehen, aber den wenigsten gelang es. Wenn man sie dann zurückbrachte, wurden sie geschlagen und kamen ins Straflager. Ich erinnere mich an zwei davon, denen füllte man die Rucksäcke mit Eisen. Sie mussten tagelang mit dieser schweren Last, als abschreckendes Beispiel, am Tor stehen. Eine Schikane war es auch, dass alle Lagerinsassen, die nicht auf der Arbeit waren, jeden Abend um 10 Uhr im Hof zum Appell antreten mussten. Bei jedem Wetter wurden sie namentlich aufgerufen. Es war im Herbst des Hungerjahres 1947, wir waren in der Spätschicht. Als wir hochkamen versuchten einige Frauen, so auch ich, im Schutz der Dunkelheit, Kraut und rote Rüben zu stehlen. Der den Hunger nicht kennt, kann sich nicht vorstellen, was eine rote Rübe für eine Kostbarkeit ist. Doch wir wurden erwischt und in derselben Nacht in den Strafbunker gesteckt. Das war ein niedriges, lehmiges Loch im Lagerhof, unsere Schlafstätte und WC zugleich. In der Früh mussten wir im Lager und nachmittags im Schacht arbeiten. Wir hofften, dass es schon dunkel sei, wenn wir von der Schicht kamen, dann hätten wir den schrecklichen Bunker weniger genau wahrgenommen. Doch da stand plötzlich ein hoher Pfosten mit einer starken Leuchtbirne. Als der Lagerkommandant, ein Major, an einem Abend vorbeikam, fasste sich Evi K. aus Merzydorf Mut und bat ihn, in unseren Zimmern schlafen zu dürfen. Wir staunten, dass er es erlaubte, wo er doch an unsrer Notlage schuld war und uns jede kleine Freiheit nahm. Wo alles des verdienten Geldes hinkam, wusste man nicht. So manch einer hat ihm die Pest an den Hals gewünscht. Und man könnte meinen, es hat geholfen, denn im letzten Jahr, 1949, ist er an Krebs gestorben. Erst mit seinem Nachfolger konnte man den Unterschied sehen, dass es auch menschlicher geht. Ich weiß nicht ob es in allen Lagern so etwas gab, aber bei uns war ja vieles anders, viel strenger, viel mehr Schikane, was unser dürftiges Leben noch schwerer machte. Von Zeit zu Zeit gab es eine sogenannte ärztliche Kontrolle, man könnte es Fleischbeschau nennen, obzwar wenig Fleisch zu sehen war. Es war erniedrigend für uns Mädchen und Frauen. Da saßen die Herrschaften in einem Zimmer, der Major, unser Lagerkommandant, natürlich Leutnant Kozerov, der „Krumme“, wie wir ihn nannten, der auch viel Schuld hatte an unsrer Misere. Erstaunlicherweise kannte er uns fast alle namentlich. Auch andere Offiziere und die Ärztin waren anwesend. Da mussten wir alle, einer nach dem anderen, vorbeimarschieren. Man stufte uns in Kategorien ein, zu welcher Arbeit man tauge. Erst im Jahre1948 ging es uns ein wenig besser. Wir durften doch ab und zu eine Rotkreuz-Karte nach Hause schreiben, die Brotkarten wurden abgeschafft, und wenn man ein paar Rubel hatte, gab es auch Brot zu kaufen. Es gab auch nicht mehr so viele Tote. Aus anderen Lagern durften auch mal Bekannte zu Besuch kommen. Da erst hörten wir, dass es nicht überall dermaßen schlimm war wie bei uns. Seit unserer Ankunft in Stalino haben uns ständig die Gerüchte über baldige Heimkehr begleitet und als es dann im November 1949 endlich doch soweit war, dass die Überlebenden dieses Leidensweges nach Hause durften, kam es uns kaum zu glauben. Mein Bruder und ich hatten das Glück unter den Heimkehrern zu sein. In Rumänien kamen wir nach Sighet ins Sammellager, wurden registriert, und mit einer Eisenbahnfahrkarte in der Hand waren wir nun wieder freie Menschen. Eine kleine Episode auf diesem, unserem Heimweg möchte ich noch erwähnen. Von Sighet fuhren wir nach Oradea, da mussten wir umsteigen. Natürlich hatten wir keine Geduld mehr und wollten je schneller nach Hause. Aber das ging nur mit dem Schnellzug und dafür brauchte man eine Zuschlagkarte, wir aber hatten kein Geld mehr. So standen wir, eine Gruppe Bruckenauerinnen zusammen, da näherte sich ein Zigeuner in Militäruniform, hörte uns reden und sprach uns schwäbisch an. Als er hörte dass wir aus Bruckenau stammen, sagte er, auch er komme von da. Es war der Schein Matz. Sein ganzes Geld gab er her, man solle es seiner Frau daheim zurückgeben. Das war unsere erste Begegnung mit der Heimat, und wenn es auch nur mit einem Zigeuner war.
Katharina Donos, geb. Loris
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- Kreuze
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Kreuze für die Opfer der Deportation
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Wo ruhen sie, nach Not und Darben, die in Sowjetlagern starben und irgendwo verstreut jetzt liegen, weil Stacheldraht nicht war zu biegen?
Die schuldlos man zu Tod gequält, erbarmungslos verhungern ließ, wo ruhen sie, in dieser Welt, die kalt sie in’s Verderben stieß?
Sie starben für der Väter Glauben, den sie sich niemals ließen rauben, für ihrer Muttersprache Wort, trieb man sie von der Heimat fort!
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Die nackten Toten, nicht begraben, meist nur auf’s Feld geworfen waren, wohin, im Schnee, kann niemand sagen, wenn Kinder, nach den Eltern fragen.
Kein Hügel, Kreuz, noch Sühnemal, erinnert an erlitt’ne Qual, die Mörder konnten alles sparen, wenn ihre Opfer, Deutsche waren!
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