Dreikönigskind aus Workuta

Banater „Dreikönigskind“ aus Workuta

Gebürtige Billederin wurde 1948 in der Deportation zu 25 Jahren härteste Strafarbeit und Umerziehung verurteilt
Ihr Vater starb 1946 im Lager Brest-Litowsk

Im offiziellen Bericht an die Regierung in Bukarest aufgrund einer Aufforderung an die höchste Polizeidienststelle in Jassy/ Iasi über den ersten Transport Heimkehrer aus der Sowjetunion 1945 werden genaue Zahlen angegeben, aufgeschlüsselt nach Lebenden und Toten (2), nach Frauen und Männer sowie - für uns heute etwas überraschend – 14 Kinder! Zwischen vier und zehn Monaten (nach Dr. Dumitru Sandru, Ias).
Aus den Listen zu einem weiteren Rückkehrer-Transport mit Endstation Bukarest vom 5. November 1945 mit 1.671 Personen geht hervor, dass darunter 81 Minderjährige waren (nach Dr. Ilie Schipor). Das heißt, dass eine beachtliche Zahl deportierter Frauen als Schwangere mitgenommen worden waren. Wie viele Kleinkinder in der Deportationszeit verstorben sind, werden wir wohl nicht mehr eruieren können.
Dr. Ilie Schipor führt beispielsweise in der Liste der verstorbenen Deportierten des Arbeitslagers Nr. 1802 (Jurawlik, Gebiet Swerdlowsk) an, dass unter den 56 Toten fünf Kleinkinder waren, geboren in der Zeitspanne 1945-1947. Er führt die Namen und das Geburtsjahr der Kinder und das Sterbedatum an, alle Mütter stammten in diesem Lager aus dem Banater Bergland .
In Erinnerung an die Zeit der Deportation wird immer wieder über Kinder in den Lagern erzählt, in Ausnahmefällen sind sogar Kinder mit den Müttern deportiert worden.
Auch von einem „Kindertransport“ („esalon de copii“) im Herbst 1945 wird berichtet, wie im Falle der Bukowinerin Elisa (Elisabeth) Stadler aus Radautz, geboren 1934, die im Spätherbst 1940 als Kind schon die Umsiedlung ins Deutsche Reich und danach die Rückkehr in die Südbukowina mitgemacht hatte.
Häufig wurde über Geburten und Fehlgeburten im Verlauf der Lagerzeit erzählt. Es gibt für viele Banater ehemals schwäbische Dörfer Bilder aus der Sowjetunion, auf denen Kinder mit abgebildet sind. Eine Überschau lässt den Schluss zu, dass es mehr Fälle von „Russland“- Kindern gab, als bisher vermutet.
Selbst in dem berüchtigtsten sowjetischen Lagerkomplex „Workuta“ waren deutsche Frauen aus Rumänien verbannt infolge von Verurteilungen durch höchste sowjetische Militärtribunals (von Männern ist es bekannt durch das Buch von Viktor Stürmer). Eine dieser Zwangsarbeiterinnen war die am 30. April 1927 in Billed (Piled im russischen Original) geborene Katharina Sch., die nach dem Tod der Mutter als etwa sechsjähriges Kind von kinderlosen Verwandten in Bruckenau „angenommen“ wurde (d. h. Adoption ohne Papiere und Namensänderung) und am 14. Januar 1945 aus dieser Gemeinde von Hausnummer 298 in eines der Stalino-Lager deportiert worden war. Sie ist am 26. Juli 1995 in Osthofen verstorben. Eine Schwester war beim Vater geblieben, der in Billed eine zweite Ehe eingegangen war. Vater Hans wurde im Januar 1945 aus Billed verschleppt und starb 1946 den Hungertod im Arbeitslager Brest-Litowsk.
Dr. Ilie Schipor führt in seinem Buch zur Deportation von Deutschen aus Rumänien (Sibiu/ Hermannstadt 2019) ihren Fall gesondert und namentlich an (doch nicht leicht identifizierbar infolge der zweifachen Transkription). Sie wurde am 8. Januar 1948 von einem Militär-Sondergericht im Gebiet Stalino laut Artikel 54-9 des Strafgesetzbuches der Sowjetrepublik Ukraine zu schwerster Gefängnisstrafe verurteilt: 25 Jahre Arbeits- und Umerziehungsstrafe in einem Sonderlager im sibirischen „Workuta“, wo sie sich auch 1953 noch befand.
Sie wurde beschuldigt, einer Arbeitskollegin und Freundin (Schwäbin, Sächsin oder Temeswarerin?) im Dezember 1947 eine Axt übergeben zu haben, mit der diese ein Starkstromkabel durchtrennt und so schweren wirtschaftlichen Schaden an drei Umspannanlagen im Grubenwerk verursacht hatte. Ob das so stimmt, ob wirklich eine Sabotageaktion dahinter steckte, eine Unachtsamkeit oder die Absicht, den Kupferdraht zu verschachern, ist kaum nachvollziehbar.
Wir wissen nicht, was mit der Hauptschuldigen geschehen ist, laut Aussagen soll sie überlebt haben. Schlussfolgernd aus einer ähnlichen Verurteilung und Strafe zu gleicher Zeit, könnte es möglicherweise eine Landsmännin aus Neubeschenowa gewesen sein, die aus einem wohlhabenden Haus stammende Aloisia Bermann, Tochter des Nikolaus, geboren am 19. Februar 1923, die als letzte aus diesem Dorf erst infolge der Amnestie von 1955 (oder erst im Jahr 1956) heimkehren durfte, obwohl sie laut Schipor am 17. Juni 1953 aus der Arbeitshaft im Raum Nowgorod (Direktion 2) über das Kadijewka- Lagersystem 144 in das Lager für die Zusammenstellung von Heimkehrer Transporten DubravLag transferiert worden war.
Das war aber auch ein Straf- und Korrekturarbeitslager (ITL) für politische Häftlinge und Kriegsgefangene in Mordowien.
Sie ist infolge der aus den Lagern mitgebrachten Lungenkrankheit mit 37 Jahren am 13. Dezember 1959 in Neu-Beschenowa gestorben. Ihre Gesundheit und ihr Leben waren ruiniert, eine Ehe konnte sie nicht mehr schließen.
Berichtet wird von Dr. Schipor weiter, dass die Verurteilte Katharina Sch. Im Sommer1953 aus dem Außenlager „Oziornii“ in das Nebenlager Retschnoi (Teil des Gulag- Straflagers Workuta mit damals 34.980 Häftlingen) verlegt worden war.
Der Grund ist nicht angegeben.
Das angeführte Lager „Oziornii“ war das Besserungsarbeitslager Oser Lag oder Osob Lag (Sonderlager) Nr. 7 für politische Gefangene, gehörte zum GULag Lagersystem und befand sich im nordostsibirischen Gebiet Irkutsk. Die Gefangenen wurden beim Bau der ostsibirischen Teilstrecke der BAM (Baikal- Amur-Magistrale) von Bratsk nach Tajschet eingesetzt, außerdem bei der Holzgewinnung, Holzverarbeitung usw. Die Haftbedingungen in diesen Sonderlagern waren ähnlich wie im Kerker. Die politischen Häftlinge sollten für besonders schwere Arbeiten eingesetzt werden. Die letztgenannte Strafarbeits-Haftanstalt gehörte verwaltungsmäßig zum Lagersystem Irkutsk mit ebenfalls nahezu 35.000 Häftlingen.
Beide Umerziehungs- und Arbeitsstraflager zählten zu den größten und schwierigsten Anstalten dieser Art in der ganzen Sowjetunion und befanden sich in klimatisch sehr unwirtlichen Gegenden.
Am 4. Juli des gleichen Jahres 1953 wurde Katharina Sch., Tochter des Hans (Seite 68, Schipor gibt auch die sowjetischen Quellen in den Fußnoten an), zusammen mit weiteren fünf Lagerinsassen in die Abteilung 1 des Lagerkrankenhauses eingeliefert mit „doppelseitiger Lungenentzündung“.
Ob dieses wohl infektiöse Lungenleiden mit ein Grund für die frühere Entlassung war, ist nicht bekannt. Wahrscheinlich führte das Präsidialdekret des Obersten Sowjets vom 27. März 1953 zur verspäteten, aber doch vorzeitigen Entlassung nach Rumänien durch die Amnestie.
Damals wurden in der Sowjetunion durch dieses Dekret eine Million Strafgefangene freigelassen.
Es wird von Dr. Schipor (oder in den Unterlagen) nicht erwähnt, dass die ledige Frau ein Kleinkind hatte und in wessen Betreuung es sich befand.
In einem „Bündel“ hatte sie es mitgebracht (so eine Augenzeugenerinnerung von der Ankunft am Bahnhof in Bruckenau). Katharina Sch. lebte nach der Heimkehr im Dezember 1953 in Billed und dann wieder in Bruckenau. Sie hatte 1957 mit dem aus Billed stammenden Johann H. (gestorben 1990 in Bruckenau) eine Ehe geschlossen. Der Sohn Peter H. wurde 1957 in Billed geboren. Ende 1990 ist Katharina Sch. zu ihren Söhnen nach Deutschland ausgesiedelt.
Über ihren Leidensweg wurde sie leider nie befragt. In Rumänien waren ihr für die Altersrente nur die „Aufbauarbeitsjahre“ 1945-1947 anerkannt worden.
Mitgebracht hatte sie aus der schweren, aussichtslosen Haft- und Isolationszeit - das Urteil lautete auf Gefängnis bis 1972 (oder 1973) und hatte ihre Zukunft entschieden - einen Sohn, geboren zu Dreikönig 1953.
Sein Geburtsort ist im Ortssippenbuch Bruckenau etwas verballhornt mit Warkutza statt Workuta angegeben. Das Kind von damals heiratete 1975 nach Jahrmarkt, Valentin lebt seit 1988 mit seiner Familie in Deutschland.
Die Halbbrüder können nun auch einen Antrag auf „Entschädigung“ stellen für eine lebenslange „seelische Last“. Valentin erinnert sich, dass er als Kind mit der Mutter in Jahrmarkt war und die Familie besuchte, in der ein „Russlandheimkehrer“ lebte, mit dem sie gemeinsam im Banat angekommen oder in „Russland“ eine Zeit zusammen war. Möglicherweise war es Hans Vogel (Bruckenauer Vorfahren) aus der Zigeunergasse, Jahrgang 1912, der jahrelang als verschollen galt und dann plötzlich heimkehrte.
Er ist 1996 in Nürnberg gestorben.
Laut eigenen Umfragen war Vogel (angeblich bei der SS-Panzerdivision Wiking) der letzte Jahrmarkter Heimkehrer aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft.

Mit freundlicher Genehmigung vom Autor Luzian Geier